Keynamm

Published on Jul 6, 2023

Gay

KeYNaMM 27-28

KeYNamM

by

Ruwen Rouhs

27 Der Weg nach Tamegroute

„Ikken, Ikken, wann kommst Du wieder, Ikken?“ Ikken hörte Hiyyas Rufe aus der Entfernung nur noch leise, leiser als die hohen Stimmen der Zwillinge Anirt und Amimt. Sie riefen „Aylal, Aylal, wann kommst Du wieder? Komm bald, der Hund bekommt nächste Woche Junge!“ Es war noch sehr früh am Morgen und die Sonne hatte den Tau noch nicht von den Gräsern getrunken als KeYNamM, Ikken und Aylal mit den Pferden den Furt des Draa durchquerten. Mitten in Fluss ließen sie die Pferde sich noch einmal satt trinken, dann ritten sie den Talhang hinauf zum Pfad ritten, der auf der Grenzlinie zwischen Galeriewald und Wüstensteppe nach Süden, nach Tamegroute, führte. Sie ritten bis zum Spätnachmittag, dann nahmen sie eine Abzweigung, der sie zurück zum Draa brachte. Gegen Abend erreichten sie einen kleinen Marktflecken am Flussufer.

In der Hitze des Spätnachmittags lag die staubige Dorfstraße des Fleckens wie ausgestorben da. Ikken stöhnte, „Gibt es denn hier kein Gasthaus in dem wir einkehrten können? Mein Magen knurrt schon seit dem Morgen.“ Er blickte vorwurfsvoll zu KeYNamM zurück, der weit hinter ihnen ritt. „Du hast mich zu spät aus dem Bett geworfen und ich musste ohne zu essen aufbrechen!“ „Klar musste Dich KeYNamM-baba herausschmeißen.“ spottete Aylal, „Du hast verschlafen! Geschieht Dir recht! Glaubst Du wir haben nicht bemerkt, dass Du Dich mit Hiyya weggeschlichen hast und erst im Morgengrauen wieder im Bett warst?“ „Ich musste pinkeln!“ schnappte Ikken mit hochrotem Kopf zurück. „Die halbe Nacht?“ fragte KeYNamM. „Und Hiyya musste Dir dabei helfen?“ foppte ihn Aylal, „Musste sie Dein Schwänzchen halten?“ Ikken wurde noch röter im Gesicht und trieb sein Pferd schnell weiter die Straße herunter. In der Eile hätte er fast die kleine Gaststätte übersehen, deren dunkler Eingang zur Straße einem Spalt offen stand.

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Die Gaststube war niedrig, kühl, dunkel und viel kleiner, als die der Herberge „Zum Durstigen Kamel“. Sie war leer, weder ein Gast noch der Wirt waren zu sehen. Erst nach einer Weile schlurfte ein unförmig dicker Mann mit mürrischem Gesicht aus dem Hinterzimmer in die Gaststube. Mühsam bewegte sich auf die drei zu, blinzelte verschlafen und murmelte mürrisch etwas von Störung. Erst als er direkt vor KeYNamM stand hob er die Augen. Plötzlich erstarrte er! Er wischte sich einmal, zweimal über die Augen und seine Müdigkeit war wie verflogen. „WEIB! WEIB!“ brüllte er, „Weib, Tamayyurt, mein Vollmond! Weißt Du wer vor mir steht? Schnell komm!“ Dann fiel er auf die Knie, „Amestan! Mein Amestan! Endlich bist Du wieder da!“ Er nahm KeYNamMs Hände und begann sie zu küssen. „Amestan, wie haben wir Dich vermisst!“ stammelte er zwischen den Küssen. „Wir haben Dich so vermisst, König des Unlands! Gott sei Dank, Du lebst. Die aus Tinghir sagten, Du seist tot!“

Sein Weib kam herein, rund wie der Vollmond, strahlend wie die Sonne. Sie fiel vor dem Amestan auf die Knie und rief ein ums andere Mal „Oh, das ich das noch erlebe! Oh, dass ich das noch erlebe!“ Dann aber rappelte sie sich auf, war schneller wie der Wind aus der Tür und rief die Straße hinauf und hinunter, „Der Amestan ist da! Der Amestan ist da! Er ist zurück! Wirklich! Er! Er!“

Der kleine Marktflecken erwachte plötzlich zum Leben. Die Türen und Fenster der Häuser flogen auf. Aus allen Häusern strömten Menschen herbei, große, kleine, alte, junge! Der Menschenstrom rollte zum Gasthof, füllte den Gastraum und alle drängten sich um KeYNamM. Die einen küssten ihm die Hände und andere lagen sich in den Armen und beglückwünschten sich, wieder andere sangen, „Der Amestan ist wieder da, unser König vom Unland.

In der Aufregung achtete natürlich niemand auf Aylal und Ikken. Sie hockten in einer Ecke auf einer harten Bank, müde der eine, müde und hungrig der andere. Sie hofften, dass die Aufregung bald ein Ende nehmen und jemand sich um sie kümmern würde. Es war ein kleines Mädchen, dass endlich ein altes, buckliges Weib auf die beiden aufmerksam machte, „Schau Tantchen, der Amestan ist nicht allein gekommen. Er hat …!“ Sie kam nicht weiter. Die Alte, krumm und scheeläugig wie sie war, warf nur einen Blick auf die beiden, auf Ikken mit seinem roten Tukumbut auf den Kopf und Aylal, der sich ein blaues Tuch als Turban als Schutz gegen die Sonne um den Kopf geschlungen hatte. Sie starrte die beiden an, als wollte sie sich versichern, dass sie wirklich sah was sie sah, dass sie keiner Halluzination aufgesessen war. Dann drehte sie sich um, stieß mit ihrem dicken Stock mehrmals auf den harten Boden und als alle zu ihr hinsahen, verkündete sie mit schriller Stimme. „Das ist ein besonderer Tag! Der Amestan ist zurück, der Amestan und der Junge, der den roten Hut von König Gaya trägt und der Junge, der den blauen Turban der Könige des Unlands trägt! Seht ihr das nicht, wisst ihr nicht, dass ihr drei feiern müsst! Drei Könige! Drei, die uns Menschen vom Inland am Draa, den Menschen vom Grenzland und den Bewohnern der Wüste Frieden bringen werden! Das sage ich euch! Ich, die alte Ultasila, die Alte, die aus der staubigen Ebene kam, um die zu finden, die meine Schwester aus den Bergen, Ultafa, angekündigt hat.“

Die Anwesenden schauten erstaunt auf die Alte. Den einen galt sie als Närrin, den andern als Hexe und für die andern war sie einfach ein altes humpelndes, schielendes Weib. In diesem Augenblick wusste keiner in der Gaststube ihre Worte zu deuten. Sie hörten ihre Worte, aber verstanden sie nicht. Sie wussten nur eins, der Amestan ist wieder da! Also hörten die Menschen nicht auf sie. Die Männer nahmen KeYNamM auf die Schultern, trugen ihn aus der Gaststube, „Auf, auf! Los! Los!“ brüllten sie durcheinander, „Auf zur Burg! Im Innenhof des Tighremts wollen wir ein Fest für unsern Amestan ausrichten. Auf! Auf! Los!“ KeYNamM zuckte hilflos mit den Schultern, als ihn die Dorfbewohner aus der Gaststätte hochhoben und trotz seine Proteste auf den Schultern im Triumphzug zum Tighremt trugen. Er wusste als einziger die Worte der Alten zu deuten verstanden und hoffte nur, dass sich einige der Dorfbewohner um Ikken und Aylal kümmern würden.

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Bald saßen Aylal und Ikken wieder allein in der leeren Gaststube. Gerade als Ikken anfangen wollte zu schimpfen, strömten Kinder herein, an der Spitze ein Junge mit rotem Haar. Zuerst umlagerten sie die beiden neugierig, aber dann nahm sich der rothaarige ein Herz, „Hast Du Hunger, Du mit dem blauen Turban?“ Als Aylal nickte, zog er ihn vom Sitz hoch, „Komm mit! Komm mit!“ und zog mit ihm und einer Schar gleichaltriger ab.

Ikken fühlte sich ausgeschlossen. Bevor er sich aber entschließen konnte Aylal nachzugehen oder doch besser das Tighremt zu suchen, trat ein etwas gleichaltrige Junge vor ihn hin, musterte ihn von Kopf bis Fuß, „Du mit dem roten Tukumbut, bist Du wirklich König Gaya?“ dann kratzte er sich am Kopf, „Der ist doch schon lange tot, oder!“

„Ja! Du hast Recht! Aber das ist sein Hut und weil er mir von einer weisen Frau geschenkt wurde, bin ich jetzt der neuen König Gaya!“ Dann nahm er sich ein Herz, „Aber auch Könige sind hungrig und durstig! Hast Du was für mich zu essen?“

„Komm! Komm mit König Gaya! Ich bin Saden und der, der Deinen Bruder mitgenommen hat, das ist Idder, mein kleiner Bruder. Unser Haus ist das am Ende des Dorfes, dort wo niemand mehr wohnt, nur die alte Ultasila und wir.“ Als Ikken fragend anblickte, „Ja wir wohnen im Hexenhaus, denn die Menschen halten Ultasila für eine Hexe, aber kochen kann sie gut. Heute, heute hast Du Glück König Gaya. Heute war ein dicker Fisch in der Reuse und dazu gib es Fladenbrot.“

Das Hexenhaus war wirklich klein. Es beherbergte nur die Küche, in der auch Saden und Idder schliefen und den Raum von Ultasila. Als sie ankamen, hatten sich die anderen Kinder schon zerstreut und Aylal saß am Feuer und half Idder Fladenbrot auf einem heißen Stein auszubacken. „Wir warten schon auf Euch, ihr müsst den Fisch braten!“ begrüßte Idder seinen Bruder und seinen Gast.

Fisch und Brot waren erst fertig, als sich die Dämmerung schon herabgesenkte. Sie waren am Essen, als plötzlich im Türrahmen Gesichter auftauchten. Der flackernde Feuerschein verzerrte sie, aber Ikken erkannte, dass es sich um junge Burschen handeln müsse.

Er behielt recht, denn sofort fragte einer von ihnen neugierig, „Du bist also König Gaya, der König der Wüstensöhne? Bist Du wirklich König Gaya, wie die alte Hexe behauptet hat?“ und ein zweiter fragte mit Spott in der Stimme. „Bist Du das auch noch, wenn Du den roten Hurt nicht trägst?“ Ein dritter wollte die anderen zwei übertrumpfen, „Beweise es uns! Beweise, dass Du König Gaya bist! König Gaya konnte einem Löwen in stockfinstere Nacht mit dem ersten Pfeilschuss ein Auge ausschließen. Du hast doch Boden und Pfeil dabei? Los beweise es!“

Ikken war überrumpelt und suchte nach einem Ausweg. „Wo ist euer Löwe? Als keine Antwort kam, „Dann beschafft mir einen Löwen! Ich habe zwar noch nicht versucht einem Löwen ein Auge auszuschließen, aber ich kann es. Bringt euren Löwen her!“ Jetzt mussten die Burschen reagieren. Sie tuschelten, dann sagte der mutigste, „Also Löwen haben wir hier am Fluss nicht. Aber die Augen der Eulen leuchte auch in der Nacht und davon gibt es hier genug!“ „Eulen? Eulen sind heilige Wesen. Wer einer Eule etwas zu Leid tun, verärgert Kel Essuf, den Wüstengeist. Ich schieße nicht auf Eulen!“

„Angsthase, Angsthase!“ begannen jetzt die Burschen zu spotten. Ikken runzelte die Stirn aber dann hatte er eine Idee. „Hier!“ er zeigte auf ein Talglicht, „Hier! Ich zünde das Talglicht an und der tapferste von euch hält es draußen vor dem Haus im Dunklen als Zielscheibe in die Luft. Ich ziele auf das flackernde Licht. Wenn es ausgeht, ist das so, als hätte ich dem Löwen das Auge ausgeschossen. Wenn ich die Hand dessen treffe, der das Talglicht hält, hat er Pech und ihr wisst, dass ich nicht Gaya bin.“

Die Burschen begannen wieder zu tuscheln. Dann trat einer vor. „Es ist viel zu dunkel. Bei der Dunkelheit kannst Du nicht zielen, triffst also nicht genau und keiner von uns will einen Pfeil in der Hand!“ Da stand Saden auf, zündete das Talglicht an, ging 20 Schritte in die Dunkelheit und rief, „Komm Ikken, komm König Gaya, schieß! Ich weiß das Du triffst!“

Ikken nahm seinen besten Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf den Bogen, spannte die Sehne, legt an und bevor einer der Burschen die Situation erfasst hatte, sirrte der Pfeil durch die Nacht. Die Flamme des Talglichts flackerte kurz auf und erlosch dann.

Die Burschen zogen beschämt ab. Ikken aber umarmte Saden, „Du hast Mut mein Freund. Freunde wie Dich werde ich benötigen, wenn ich in die Wüste gehe und mein Erbe antrete.“ „Ich komme mit. Ich komme überall mit wohin Du auch gehst König Gaya!“ „Nicht jetzt, erst müssen wir nach Tamegroute, dort wartet der Marabout, der allein unser Schicksal kennt.“ Aylal beugte sich zu Idder der neben ihm stand, „Willst Du mein Freund sein, Idder. Ich werde nicht in die Wüste gehen. Du hast gehört was Ultasila sagt. Ich muss den Fluss bewachen, den Fluss der von den kalten Bergen kommt, im Sand verschwindet, aus dem Sand auftaucht, wieder verschwindet, wieder auftaucht und endlich seinen Weg ins Unendliche findet.“

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Am frühen Morgen weckte Ikken Pferdegewieher. Im Halbschlaf drehte er den Kopf zur Tür der kleinen Hütte, durch deren löchrigen Vorhang die das erste Licht des Morgens sickerte. Der dunkle Haarschopf, der ihm die Sicht aus dem großen Loch im Vorhang verwehrte, gehörte Saden. Erst jetzt erinnerte er sich an den vergangenen Abend. Er war stolz, dass er mit einem Pfeilschuss die Flamme des Talglichts ausgelöscht hatte, das Saden mit ausgestrecktem Arm als Ziel über den Kopf gehalten hatte. Ikken führte diesen Erfolg nicht auf seine Schießkunst zurück, eher auf Glück, denn zum genauen Zielen war es viel vor der Hütte zu dunkel gewesen. Vielleicht war es auch nur der Nachtwind gewesen, dachte er, oder wer weiß das schon, Kel Essuf oder einer seiner Jinns. Aber was hatten denn die Wüstengeister hier am Draa-Ufer zu suchen?

Als er sich streckte, um aufzustehen, stieß er mit den Füßen gegen einen weiteren warmen Körper. War es der Aylals oder Idders? Die beiden lagen eng umschlungen am Fußende der niedrigen Liege, die eigentlich gerade groß genug für zwei war. Notgedrungen hatte er hatte es sich am Abend mit Saden am Kopfende bequem gemacht, während Idder und Aylal am Fußende schlafen mussten. Na ja, dachte er, bequem war anders. Aber er war ausgeschlafen.

Ikken kroch über Saden aus dem Bett, aber noch bevor er durch den dämmerigen Raum zur Tür gestolpert war, hatte der ihn eingeholt und den Vorhang beiseite geschoben. „Schau die Pferde,“ rief er, „die Pferde! Die sind geschmückt, geschmückt wie für einen König!“

Saden hatte Recht. Ikken erkannte seinen kleinen Araberhengst fast nicht wieder. Die graue Satteldecke war durch einen bunten Teppich mit Troddeln und Glöckchen ersetzt und statt der Lederriemen des Zaumzeugs diente ein breites, perlenbesetztes Band als Zügel. Nur der Sattel war der alte, ein abgeschabtes Stück, den eine Generation von Wüstenkriegern eingeritten hatte. Selbst das kleine Pferd schien den Unterschied zu spüren. Heute benahm sich sein Hengst nicht so bockig und übellaunig, wie sonst am Morgen, sondern schritt stolz wie ein Streitross auf ihn zu. Auch Aylals großen Wallach hatte der Putz verwandelt. Er hielt sein Haupt erhoben und sog die frische Morgenluft stolz durch die weit geöffneten Nüstern.

Ikken blieb keine Zeit sich von der Überraschung zu erholen, denn KeYNamM, der sich hinter einigen Büschen am Wegrand verborgen hatte, kam angeritten, sprang vom Pferd und begrüßte die vier, die sich inzwischen gähnend zwischen den Türpfosten drängten. „Los, los!“ begrüßte er Ikken und Aylal, „Wir haben noch einen weiten Weg bis Tamegroute! Wir müssen in spätestens sechs Tagen dort sein. Der alte Marabout, mein Lehrer, kann nicht mehr lange warten, sagt Ultasila! Er ist am Auslöschen, wie eine fast heruntergebrannte Kerze. Er erwartet die Rückkehr des Amestans und er erwartet die künftigen Könige!“

„Wir kommen mit euch!“ riefen Saden und Idder, als Ikken und Aylal auf die Pferde stiegen. „Wir kommen nach! Wir sind Freunde! Vergesst das nicht!“ riefen sie, als sich die Kavalkade ohne sie entfernte.

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Gegen Abend erreichte ein müder KeYNamM mit seinen Söhnen den nächsten Flecken. Schon bei den ersten Häusern wurden sie von Dorfbewohnern begrüßt. Am Dorfeingang war ein Triumphbogen errichtet worden, ein hoher Bogen aus Stangen und Schilfbündeln. Er war mit Blumen und Früchten geschmückt sowie mit breiten Bändern, die im Wind flatterten. Die Dorfältesten begrüßten die drei mit tiefen Verbeugungen und die festlich gekleideten Dorfbewohner führten sie zu einer Kasbah. In ihren kühlen Räumen war für Essen und Trinken gesorgt und in einem Nebenraum war breites Lager aus Schilfbündeln für die Nacht hergerichtet. Als KeYNamM sich bedankte und seine Verwunderung über den Empfang ausdrückte, erzählte ihnen der Dorfälteste, dass Ultasila schon am Mittag vorbeigekommen sei. Sie sei wie eine Taube plötzlich aus dem Blau des Himmels aufgetaucht, um die Ankunft des Amestan und seiner königlichen Söhne anzukündigen, berichtete er.

Die folgenden Tage verliefen wie der erste. Wenn sie in ein Dorf kamen wurden sie am Eingang empfangen, den Dankesreden folgte ein Festessen, bei dem alles aufgefahren, was die Dörfer bereitstellen konnten. Zur Übernachtung wurde ihnen der beste Raum des Dorfes zur Verfügung gestellt und nicht nur sie, sondern auch die Pferde wurden aufs Beste versorgt.

Natürlich rief das plötzliche Auftauchen der zwei Söhnen des Amestan die besondere Neugierde der Frauen und jungen Mädchen hervor, da niemals zuvor von einer Heirat des Amestan die Rede gewesen war, niemand etwas von einer Frau wusste, die er geehelicht hätte und erst recht nichts von Söhnen, den Königskindern. Alle fragten sich, waren dem KeYNamM die beiden Söhne von der Großen Mutter, von Mutter Meryem, geschenkt worden, hatte er sie an der Quelle der Meryem gefunden oder am Draa oder in der Wüste? Fragen die niemand beantworten konnte. Und wie passten diese Vermutungen, zu der Erzählung vom ersten Zusammentreffen der drei in Tinghir? Waren die beiden Jungen des Amestans Befreier? Auch Ultasila, die Alte aus der Staub verhüllten Ebene und Ultafa, die Alte von den steinigen Bergen und all ihre weisen Schwestern wussten es nicht!

Noch etwas anderes wunderte die Menschen der Dörfer, durch die KeYNamM mit Ikken und Aylal weiter nach Süden ritten. Angekündigt wurde ihr Kommen durch alte Frauen, Weisen Frauen, die einander so ähnlich sahen, dass niemand wusste, war es die aus der Ebene, die aus den Bergen, die aus der Wüste oder die vom Fluss. Noch irritierender war, dass am Tage nach dem die Drei durchgekommen waren, eine Prozession Kinder zu Fuß, auf kleinen Pferden und grauen Eseln durch die Dörfer kamen. An der Spitze ritt auf einem Rappen ein unbekannter Mann. Er führte die Prozession der Kinder an, von Knaben wie Idder, junge Burschen wie Saden oder Tanan, verspielten Mädchen wie Anirt und Amimt oder aufblühende Rosen, wie Hiyya. Sie sechs und noch viele, viele mehr zogen vorbei. Alle fragten nach den Dreien und zogen eilig weiter.

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Am fünften Morgen verließ KeYNamM mit Ikken und Aylal das Tal des Draa. „Wenn wir im Tal weiter reiten, kommen wir gegen Mittag an eine der Stellen, in der der Draa in den Sand eintaucht und erst weit, weit im Westen wieder auftaucht. Wir verlassen daher den Fluss!“ Er sprang vom Pferd. „Tränkt die Pferde noch einmal, meine Söhne, füllt die Wasserschläuche! Wir schlagen den Weg über die Berge nach Tamegroute ein. Dort müssen wir den Marabout finden, der die Gräber der Könige vom Umland bewacht. Nur er weiß den Weg, den ihr und ich in Zukunft gehen werdet. Er ist uralt und wir müssen ihn finden, bevor der Vollmond morgen früh hinter den Dünen im Süden versinkt, denn dann verlöscht auch der uralte Marabout.“

Von da an schlugen sie den Weg nach Südosten ein übers Gebirge, durch Sandfelder, Steinwüsten, Trockentäler, vertrocknete Wälder, schroffe Berge. Gegen Abend des Tages erblickten sie von einem Pass aus in der Ferne eine Ansammlung flacher Bauten. Der aufziehenden Dunkelheit wegen, konnten sie die Häuser nicht zählen. Aber es waren sehr viele. Sie lagen verstreut in der Sandebene, wie Holzklötzchen, die Kinder am Abend auf einem Spielplatz zurückgelassen hatten.

„Wo bleibt der Mond?“ Ikken suchte den Horizont nach dem Mond ab.“Wir haben Vollmond! Wo bleibt er? Er müsste doch dort drüben aufgehen, wie gestern. Nur die Sterne funkeln vom dunklen Himmel!“ „Du hast recht! Dort müsse er aufgehen. Aber seht ihr die schwarzen Wolken, die den Horizont verdecken!“ „Was ist das Vater, KeYNamM-baba?“ fragte Aylal, „Das sind keine Wolken!“ „Es sind Sandwolken Aylal! Dort hinterm Horizont treibt Kel Essuf sein Unwesen! Die Sandwolken, die aufsteigen zeigt, dass er die Bösen bestraft!“ „Wie sollen wir ohne Mond den Marabout finden? Wie die Qubba, in der die Könige vom Draa ruhen? Sags KeYNamM-baba!“ Ikken starrte in die vor ihnen liegende Ebene mit der Ansammlung von flachen Häusern. „Wo zwischen all diesen Gebäuden sollen wir die Grabkapelle der Könige vom Draa finden?2 bohrte Aylal nach, „Wo? Sag es, KeYNamM-baba. Du warst schon hier! Siehst du das Totenhaus, das Mausoleum der Könige vom Draa?“

„Aylal, sei nicht ungeduldig. Auch ich kann von hier oben nicht erkennen welches der vielen Häusern die Körper der Könige des Unlands beherbergt. Es ist schon zu lange her, mein Sohn, dass ich in Tamegroute war! Ich war damals nicht viel älter als ihr heute!“

„Vater, KeYNamM-baba, Du wirst uns richtig führen. Ich weiß es.“ rief Ikken und trieb sein Pferd an. „Du wirst uns zum Marabout bringen und er wird uns unsere Wege voraussagen, wie die Weisen Frauen prophezeit haben.“

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28 Di****e Pforte

Ikken vermisste eine Stadtmauer, die Tamegroute wie jede andere Stadt vom Umland abgegrenzt hätte. Er vermisste ein Stadttor das Fremden den Einlass nach Tamegroute verwehrt hätte. Er vermisste Nachtwächter, die mit ihren Laternen die engen Straßen patrouillierten. Sogar die Hunde fehlten, die nachts um die Häuser strichen, auch die Katzen, die über die Dächer huschten. Tamegroute war offen für den Wind vom Gebirge, den Wind aus der Wüste, für den Sand aus der Wüste, für die Jinns, die in den Höhlen hausten, für Kel Essuf, den Geist, der aus dem Nichts kam und doch alles beherrschte.

„Ist das eine Stadt Vater, KeYNamM-baba?“ fragte Ikken und wollte wissen, „Schau der Sandpfad auf dem wir vom Gebirge kommen endet plötzlich zwischen Häusern, Häuser wie Quader, Quader mit kleinen Kuppeln, Quader ohne Fenster, Quader ohne Türen, ohne Eingänge! Nirgends ist ein Lichtschein zu sehen. Wohnen da Menschen Vater? Wohnen da Tote? Vater was ist Tamegroute?“

„KeYNamM-baba!“ fragte Aylal, „Wohnen da Menschen in den Häusern? Wohnen da Tiere in den Ställen, Pferde, Esel, Rinder? Noch nicht einmal eine Katze streift durch das Dunkel! Wo sind die Nachtfalter, die Fledermäuse?“ Er zögerte „KeYNamM-baba ich habe Angst! Nicht einmal ein Kauz streicht um die Häuser! Wo sind die Nachtschwalben?“

Es war leer, es war still zwischen den quaderförmigen Bauten. Nicht einmal der Sand wurde vom Nachtwind aufgewirbelt. KeYNamM, Ikken und Aylal ritten die gewundene, sandverwehten Straße weiter, der vom Rand der Siedlung zum quadratischen Platz in ihrer Mitte führte. Sie bogen in keine der Abzweigungen ein, die alle im Dunkeln zu enden schienen, im Nirgendwo. Stille, Stille, Stille! Alles war still. Da war nur der dumpfe Aufschlag der Pferdehufe im Sand. Tock, Tock, Tock war das Einzige, was die Stille durchbrach.

„Weißt Du wo das Grabmal der Könige vom Unland ist, KeYNamM-baba? Ein Häuserquader sieht aus wie der andere!“ „Es ist schon so lange her, dass ich hier war, Aylal. Ich weiß nicht ob dieser oder ein anderer Weg zum Grabmal führt, der Qubba mit den Gräbern der Könige vom Unland seit ewig! Aylal, damals war ich vielleicht so alt wie Du heute. Als mein Vater mich hierher brachte, fürchtete mich wie Du, mein Sohn! Aber Du und Ikken, ihr braucht keine Angst zu haben! Ich bin bei Euch!“

„Ich verstehe Dich nicht Baba, KeYNamM-baba. Du weißt nicht wo das Qubba ist, wo den Marabout wohnt, was weißt Du eigentlich? An was erinnerst Du Dich denn noch?“ flehte Aylal, „Es ist schon bald Mitternacht und wir müssen den Steinalten treffen wenn der runde Mond am höchsten steht. Aber wo ist der Mond? Wem können wir nach dem Weg fragen? Wem nach dem Mond? Wohnen nur Tote hier oder gibt es auch Lebende?“„Ich weiß es nicht Aylal, ich weiß es nicht Ikken. Aber schaut nur, die Pferde kennen den Weg! Schaut doch, sie laufen gerade aus und wie schnell! Sie wittern das Ziel! Habt keine Angst, meine Söhne, wir werden beim Marabout sein, wenn der Mond aufgeht!“

Die Pferde trugen sie weiter den sandverwehten Weg durch die Mitte der Stadt, den Platz im Zentrum mit dem Steinbänken um den ausgetrockneten Brunnen, weiter durchs Dunkel, nach Süden. Als sie den Südrand der Stadt erreichten, fielen ihre Augen auf einen quadratischen Bau, eine Qubba, eine besondere, eine Qubba ohne Kuppel, ein Bau, bei dem ein hoch stehender Mond den Innenhof ausleuchten konnte. Aber noch schienen nur die Sterne. Alle drei, KeYNamM, Ikken und Aylal, wusste das es die richtige Qubba war. Sie wussten es einfach, auch ihre Reittiere wussten es und schnaubten wie Pferde, die ihren Stall am vertrauten Geruch erkennen.

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Die Grabstätte der Könige vom Draa brauchte keinen Schutz vor Wind und Wetter, sie war wie die Könige selbst. Diese waren so unbezähmbar wie der Draa. Die Qubba stand auf einer kleinen Erhebung, an dessen Fuß trockenes Gestrüpp den Zugang zum Bau erschwerte. Die Pferde wurden plötzlich noch schneller, schlugen den Weg zur Erhebung ein und blieben am Rand des Gestrüpps stehen. Wortlos stieg der Amestan vom Pferd, schob Gestrüpp zur Seite. Ein Weg zu einem Ziehbrunnen wurde sichtbar.

Am Brunnenrand stand ein Ledereimer, der am Seil einer Winde hing. Der Amestan warf den Eimer in den dunklen Brunnenschacht. Derweilen rannte Aylal den schmalen Pfad zur Qubba hinauf. Der Eimer sauste eine kleine Ewigkeit lang in die Tiefe. Erst als das Seil fast ganz von der Winde abgespult war, hörte Ikken den Eimer auf der Wasseroberfläche aufschlagen.

KeYNamM und Ikken holten den vollen Eimer mit Mühe hoch, gossen das kalte Wasser in den Trog neben dem Brunnern, an dem die Pferde schon ungeduldig mit den Hufen im Sand scharrten. Sie holten noch drei Eimer mit Wasser aus der Tiefe und füllten den Trog bis zum Rand.

Als die Pferde ihren Durst gestillt hatten, befahl KeYNamM, „Zieh Dich aus Ikken, ganz aus, nimm auch den Tukumbut ab, steig in den Trog und knie nieder!“ Dann goss KeYNamM das Wasser des vierten Eimers über den Kopf Ikkens. „Der Marabout erwartet Dich rein, Ikken! Auch Dich Aylal!“ rief er, drehte sich um und suchte den Kleineren seiner Söhne. „Komm her Aylal, zieh Dich aus!“

Aylal, der gerade von seinem Ausflug zur Qubba zurück kam, wickelte den blauen Turban vom Kopf, zog das verschwitzte Hemd über den Kopf, stieg aus der Hose und stieg nackt in den Trog, dabei fragte er. „Musst Du Dich auch waschen, KeYNamM-baba? Musst Du auch rein sein?“ „Ja! Das Heiligtum dürfen nur die betreten, die rein sind.“ „Aber ich konnte keinen Eingang finden! Ich habe das ganze Gebäude umrundet und fand weder Türen noch Fenster. Die Mauern sind undurchdringlich. Sie sind hoch und abweisend. Durch keinen Spalt dringt Licht heraus in die Nacht! Wohnt der Marabout wirklich in der Qubba?“

Nach dem Bad stiegen KeYNamM seine beiden Söhne nackt den steilen Weg zur dunklen Qubba hoch. In der Nachtkühle lief Ikken Gänsehaut über den Rücken und Aylals Zähne klapperten. „Hast Du Angst, Brüderchen, Bruder Vögelchen? Hast Du Angst? Hast Du Angst, wie damals als wir KeYNamM-baba befreiten?“ „Nein! Nie habe ich Angst gehabt!“ war seine Antwort, „Nicht heute, nicht damals. Wenn der Amestan da ist, habe ich nie Angst!“

„Still, still, lasst mich nachdenken!“ KeYNamM tastete die Lehmmauer der Qubba ab. “Hier war es, hier muss der Eingang sein zum Innenhof gewesen sein. Helft suchen!“ Ikken tastete die Mauer links von KeYNamM ab, Aylal rechts von ihm ab. Nichts! Sie kehrten zu KeYNamM zurück, der grübelnd auf dem Boden hockte, den Rücken gegen die Mauer gedrückt. Frierend und zittern hocken sie sich neben ihn, rechts der eine, links der andere. Als er ihnen die Arme um die Schulter legte, um sie zu trösten, wusste er dass jetzt ein neues Band geformt wurde, ein Band das halten würde, auch wenn Schwierigkeiten auftauchten. „Lasst uns die Qubba gemeinsam umrunden. Die Nacht ist dunkel und der Mond muss noch am Himmel hochsteigen. Sechs Augen sehen mehr als zwei. Geh'n wir rechts um die Qubba.“

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Sie froren, waren müde und der Pfad um die Qubba war uneben, steinig , mit harten Kiesel übersät, voll tiefer Löcher. Bis zur ersten Ecke entdeckten sie keine Unregelmäßigkeit in der Mauer, die auf einen Eingang hingedeutet hätte. Auch der rechten Seite des quadratischen Baues ragte die Mauer glatt bis zum Nachthimmel auf, ebenso auf der Rückseite. Auf der linken Seite war der Abhang neben dem schmalen Pfad noch steiler als an den anderen Seiten. Vorsichtig tasteten sie sich entlang der Mauer zur Vorderseite der Qubba zurück. „Wir müssen die Qubba nochmals umrunden. Vielleicht haben wir in der Dunkelheit den Eingang übersehen.“ tröstete der Amestan seine Söhne.

„Aber Du hast doch hier gelebt KeYNamM-baba, Du musst doch wissen wo der Eingang ist!“ beschwerte sich Aylal, „Ich bin müde!“ „Ja lass uns gehen, lass uns den Eingang suche! Irgendwo muss er sein! Mir ist kalt. Wir müssen uns bewegen!“ mahnte Ikken mit klappernden Zähnen.

Sie umrundeten den Bau ein zweites Mal. Nichts, kein Eingang. Dann versuchten sie es ein drittes Mal. Als sie jetzt etwa in der Mitte der Rückseite der Qubba angekommen waren, raschelte es in den Büschen am Abhang unterhalb der Mauer und ein langschwänziges Tier flüchtete in die Wüste. Für den Amestan und Ikken war nur ein grauer Schatten in der Nacht. Weder der KeYNamM, noch der kleine König Gaya konnten erkennen was für ein Tier es war. Aylal jedoch sah die großen Augen des kleinen Tieres, die das Sternenlicht eine Moment reflektierten, er sah die langen Ohren und den langen Schwanz. „Ein Fennek, ein Wüstenfuchs.“ flüsterte er, „Vielleicht hat er den Marabout gefüttert, vielleicht hat er ihm unsere Ankunft gemeldet und ihn gebeten noch zu warten, auf uns zu warten.“

„Fenneks werden nie zahm. Wüstenfüchse dienen den Menschen nicht. Sie sind unabhängig und frei! Sicher hat er dort nur seinen Bau!“ versuchte KeYNamM die Illusion Aylals zu zerstören.

„Lass uns nachsehen KeYNamM-baba. Bitte! Komm!“ Damit zog Aylal den Amestan hinunter zu der Stelle, an den der Wüstenfuchs das Strauchwerk verlassen hatte.

Ikken war schneller als die beiden. Als er unten das Gestrüpp zur Seite bog, sah er ein dunkles Loch im Hang. Es war höher und breiter als der Eingang einer Fuchshöhle. Es war fast mannshoch und führte waagrecht in den Hügel der Qubba hinein. Ikken tastete mit der Hand die Wände des Tunnels ab, dann schob er den lockeren Sand, der auf dem Boden lag, mit dem Fuß zur Seite und rief dann zurück, „Den Gang haben Menschen gebaut. Er hat glatte Wände und sein Boden ist mit Steinplatten belegt, glatten und quadratischen Platten, wie sie nur in Häusern anzutreffen sind. Es ist der Gang in die Qubba. Sicher! Beeilt euch! Er führt uns hinein zu den Gräbern der Königen, zum Uralten.“

KeYNamM zögerte, „Wir haben kein Licht, ohne Fackel oder Laterne können wir nicht einfach ins Dunkle hinein. Wir wissen nicht ob der Gang intakt ist oder eingestürzt. Wir wissen auch nicht, ob er wirklich in die Qubba führt!“

„Ich gehe, KeYNamM, Du hast selbst gesagt wir müssen die Grabstätte der Könige betreten bevor der runde Mond am höchsten steht und mit dem Marabout sprechen, bevor der Mond hinter dem Gebirge versinkt. Mitternacht ist schon vorbei, schau auf den Stand der Sterne! Wir haben kaum noch Zeit.“

„Aber der Mond scheint doch nicht! Es ist immer noch dunkel, obwohl Vollmond sein müsste! Die Sandwolken verdecken ihn! Lass uns warten!“ zögerte der Amestan.

Ikken schlüpfte als erster in den Gang. Aylal folgte ihm und dann noch zögerlich KeYNamM. Der Gang wurde nicht schmäler, auch nicht niedriger. Er führte leicht bergauf. Nach etwa fünfzig Schritten endete er an einer Holztür, wie Ikken mit den Händen fühlen konnte. Inzwischen hatten sich seine Augen so an die Dunkelheit gewöhnt, so dass er den schwachen Lichtschimmer wahrnahm, der unter der Tür hervor kroch. Er tastete nach einem Schloss oder Riegel. Als er nichts fand, drückte er gegen die Holztür, sie schwang zurück! Das Licht der Sterne blendete die Drei.

Jetzt standen die Drei im leeren Innenhof. KeYNamM hatte seinen Söhnen wieder die Arme über die Schultern gelegt, wie ein Vater, der seine Söhne schützen will. Sie starrten auf die dunklen Wände, die himmelhoch auftragten und versuchten zu erraten was sich hinter ihnen befand. In keiner konnten sie eine Tür erblicken, keine Fensteröffnung, nur glatte Mauern, die an den dunklen Nachthimmel stießen.

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„Bist Du es Füchslein?“ fragte plötzlich eine brüchige Stimme. „Bist Du es Füchslein? Ich habe Dir doch gesagt, dass Du mir nichts mehr zu essen bringen brauchst. Du weist es Füchslein! Dies ist meine letzte Nacht. Ich will noch diese eine Nacht warten, diese eine Nacht! Wenn sie nicht kommen, wird die Herrschaft der Könige enden, der Könige vom Unland, der Könige der Wüste.“

KeYNamM und Ikken lauschten noch, als Aylal sich losriss und dorthin stürmte woher die Stimme kam, „Vater, Uralter, wir sind da. Du brauchst nicht mehr auf das Licht des Vollmonds zu warten, denn wir sind hier, Aylal, Ikken und Draa, den Du KeYNamM getauft hast.“

„Ja Vater, Uralter wir sind da, Aylal, der kleine Vogel mit dem blauen Turban, Ikken mit der roten Kappe von König Gaya und KeYNamM, dessen Bestimmung Du vor den Menschen Du verborgen hast!“ rief Ikken ins Dunkel.

„Ja Vater, Uralter, wir sind endlich da, meine Söhne Aylal und Ikken, und ich Draa, der nun den Namen wieder tragen darf, dem ihn seine Mutter gegeben hat, den Namen, den alle Herrschern des Unlandes tragen und den Namen, den ich an meinem jüngsten Sohn weitergebe. Wir Aylal, Ikken und KeYNamM, den seine Mutter Draa nannte, werden die Menschen des Unlands und der Wüste beschützen und verteidigen. Niemand wird jemals wiedr von ihnen Unterwerfung und Tribut verlangen!“

Plötzlich stieg der Mond über den Rand der südliche Mauer der Qubba und sein Licht flutete in den engen Innenhof. Aylal, Ikken und Draa, genannt KeYNamM, starrten auf die Stelle der Mauer von der her die Stimme erklungen war. Aber die Mauer war glatt und ohne eine einzige Öffnung. Niemand stand dort! Alle Mauern des Innenhofs waren vollkommen glatt, nur dort wo der Durchlass endete, der ihnen der Fennek gewiesen hatte, war eine Öffnung in der Mauer.

Draa, Ikken und Aylal verbeugten sich vor der Mauer aus der die Stimme des uralten, unsichtbaren Marabout erklungen war. Die Drei verbeugten sich tief, drehten sich um und traten nackt wie sie waren, durch die Pforte in den Gang, der zurück zur Außenwelt führte. Der Amestan zog die schwere Holztür mit ruhigem Gewissen zu, denn der Wüstenfuchs wusste, das er nicht mehr zum Uralten kommen musste Die drei durchschritten den dunklen Gang mit festen Schritten, Aylal zuerst, dann Ikken und zum Schluss Draa, auch KeYNamM genannt.

Hand in Hand kamen sie am Brunnen an. Fanden dort ihre Kleider und zogen sich an, während die Pferde im Mondlicht schon ungeduldig stampften. Aylal wickelte sich den blauen Schal zu einem Turban um den Kopf, Ikken setzte König Gayas Hut auf und Draa ließ seine Haare wild und frei im Nachtwind flattern.

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Der Weg zurück von der Qubba ohne Kuppel am Südende von Tamegroute, über den Platz im Zentrum bis zu den letzten Häuser im Norden der Stadt, erschien den Dreien viel kürzer als der Weg zu der geheimnisvollen Qubba. Jetzt im hellen Mondlicht leuchteten Schriftzeichen und Arabesken an den Wänden der quaderförmigen Bauten links und rechts der sandigen Straße. Das Wasser im Trog neben dem Stadtbrunnen funkelte im Mondlicht. Fledermäuse jagten Nachtfalter und riesige Käfer in der kühlen Nachtluft. Eulen glitten lautlos aus ihren Verstecken in den Kuppeln der Grabmäler und spähten nach Mäuse, die über die mondhellen Pfade huschten. Katzen strichen um die Bauten, lauerten auf den ersten Vogel, den die Sonne aufwecken würde. Hunde spielten verliebt miteinander. Sogar die Abzweigungen von der Straßen, die bei Anbruch der Nacht ins Nichts zu führen schienen, endeten jetzt in Rosengärten und Rosenduft erfüllte die Nacht. Menschen jedoch waren jedoch nicht zu sehen.

Als der kleine Trupp mit Ikken an der Spitze in den steinigen Pfad zum ersten Anstieg des Gebirges einbogen, tauchten auf den Pass weit über ihnen Reiter auf. Einer der Reiter löste sich aus der Gruppe und kam ihnen im gestreckten Galopp entgegen. Er kam nicht allein, sondern führte ein weißes Pferd am Zügel mit sich. Schon vom weitem hörte sie ihn Rufe ausstoßen. Ikken konnte die Rufe nicht verstehen, erkannte jedoch die Stimme sofort. Er stachelte seinen kleinen Rappen mit den Fersen zum Galopp an und ritt dem Herannahenden entgegen. Als die beiden nur noch so weit voneinander entfernt waren, dass Ikken die Augen seine Freundes im Mondlicht blitzen sah, verstand er auch die Rufe, „Ikken, Ikken, mein Freund, mein Bruder, mein liebster Kamerad, Ikken! König Gaya, sei gegrüßt!“ Ikken stellte sich in den Steigbügeln auf und winkte mit beiden Armen, „Yufayyur, mein Bruder, mein Freund, mein Herz! Du bist heute noch schöner als der Mond! Bruder, Bruder, Bruder!“ Als sie auf halber Höhe des Berges aufeinander trafen, sprangen beide von ihrem Pferd und fielen sich in den Armen, als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen.

Als KeYNamM und Aylal zu den beiden aufgeschlossen hatten, nahm Yufayyur die Zügel des weißen Pferds, legte sie in Ikkens Hände und sprach feierlich, „Kleiner König Gaya, der Amenokal, der König aller Klans, die die Wüste bevölkern, sendet Dir seine Grüße. Hier, nimm sein Lieblingspferd, den Schimmel, der ihm weder im Frieden noch im Kampf je im Stich gelassen hat. Er sei fortan Dein. Nimm das Geschenk an, denn Du wirst der nächste Führer der Wüstensöhne sein.“ Yufayyur wartete einen Augenblick und sagte dann traurig, „Der Amenokal sehr krank. Er bittet Dich, schnell wie der Wind zu ihm zu eilen. Er hat die große Versammlung aller Klans für Heute in sieben Tagen einberufen. Dort wirst Du den Oberhäuptern der Klans, den Marabouts und den Weisen Frauen vorgestellt und sie werden Dir den Treueid schwören.“

Ikken begriff zuerst nichts. Was beabsichtigte der Amenokal? Warum er? Warum sollte er an seine Stelle treten? Er, der Junge, der aus der Fremde kam, aus dem Imperium? Er schüttelte den Kopf! „Das kann nicht sein! Ich bin nur ein einfacher Junge aus Tinghir! Macht mich der rote Hut zum König? Tarit hat diese Ehre verdient! Du, mein Bruder Yufayyur hast diese Ehre verdient! Viele der mächtigen Söhne der Wüste haben diese Ehre verdient! Warum ich? Ich nicht!“

KeYNamM nahm seine Hand. „Du bist der Erwählte, Ikken! Zweifle nicht am Segen des Marabout und an der Weitsicht der Weisen Frauen. Wie Du mir die Freiheit gebracht hast, so wirst Du sie auch den Wüstensöhnen bringen. Der alte Amenokal ist weise. Steig auf seinen Schimmel, er wird Dich zu Deinem Volk bringen wie der Wind.“

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Aylal sah sie zuerst, den Reiter auf einem großen Rappen und viele Pferdelängen dahinter einen Knaben und einen Halbwüchsigen auf einem grauen Esel. Ihnen folgte eine seltsame Prozession. Kleine und große Kinder, zu Fuß oder auf kleinen Pferden oder grauen Eseln. „KeYNamM-baba, Baba, schau, die ersten Menschen, die uns begegnen, seit Ikken mit Yufayyur und den Wüstenreitern nach Osten abgebogen sind. Glaubst Du, die wollen Tamegroute? Wissen die, dass dort keine Menschen leben?“

Der Amestan, der nicht auf die Umgebung geachtet hatte, schreckte aus seinen Gedanken. Der plötzliche Abschied von Ikken hatte sein Leben verändert. Er musste zugeben, Ikken fehlte ihm. Er hätte schon viel früher erkennen müssen, dass ihnen getrennte Wege bestimmt waren. Er hätte es seit dem Moment wissen müssen, als die seltsame Kleiderhändlerin Ikken den roten Tukumbut aufgesetzt hatte. Er erinnerte sich noch deutlich, was sie damals gesagt hatte. „Diesen Hut habe ich von meiner Urahne bekommen und die hatte ihn von ihrer Urahne und die wieder von ihrer. Dieser rote Tukumbut ist durch die Zeiten gewandert, von einer Weisen Frau zur anderen. Ja, diesen Hut hat König Gaya vor langer, langer Zeit einer Weisen Frau mit den Worten geschenkt: Gib meinen Hut dem, der die Macht hat die Klans der Wüstensöhne zu vereinen, wie ich sie geeint habe.

Aber ihm blieb Aylal. Er erinnerte sich deutlich, was er in der Qubba versprochen hatte, „Wir Aylal, Ikken und Draa, den Du Uralter den ewigen Namen der Könige des Draa, KeYNamM, gabst, werden die Menschen des Unlands und der Wüste beschützen und verteidigen.“ Aber wem hatte er dieses Versprechen gegeben? Wo war der Uralte gewesen? Keinen von ihnen hatte ihn entdecken können, weder Aylal, noch Ikken, noch er selbst. Hatten die Mauern der Qubba zu Ihnen gesprochen? Hatten die toten Könige des Unlands aus ihren Gräbern zu ihnen gesprochen? War die Stimme nur in ihrem Kopf gewesen? War es die Stimme seines Marabout, seines Erziehers, die noch in diesen Mauern lebte? Lebte der Uralte noch? Aber alle drei hatten die Stimme gehört, hatten die gleichen Worte vernommen: „Du weist es Füchslein, es ist meine letzte Nacht. Ich will noch eine Nacht warten, diese Nacht. Wenn sie nicht rechtzeitig kommen, Draa und seine Söhne, wird die Herrschaft der Könige enden, der Könige vom Unland am Draa und der Könige der Wüste. Aber sie waren rechtzeitig gekommen!“

KeYNamM schreckte aus seinen Gedanken auf. Er folgte mit seinen Blicken der ausgestreckten Hand Aylals und sah den Mann auf den großen Rappen und dahinter den kleinen grauen Esel mit zwei Reitern, der mit den Pferd nur mühsam Schritthalten konnte und dahinter die nicht enden wollende Prozession von Kindern. Alle kamen das Tal vom Draa herauf ins Gebirge ihnen entgegen.

Er und Aylal hatten gerade die Passstraße von Tamegroute her überquert und wollten den Geröllhang herunter reiten, der in das Seitental des Draa hinunter führte. Der Amestan brauchte nur einen Wimpernschlag, bis er erkannte, wer der Reiter auf dem großen Pferd war. Er gab seinem müden Pferd einen aufmunternden Klaps, dass daraufhin den Steilhang hinunter zu galoppieren begann, während er mit den Armen winkte und lauthals rief, „Anir, Anir!“ Seine Stimme überschlug sich vor Aufregung, „Anir, Freund, suchst Du mich? Hast Du meinetwegen den Weg ins Unbekannte gewagt? Wolltest Du mich finden?“

„KeYNamM! Draa! Du bist es! Endlich! Ich habe eine gute Nachricht!“ Anir hielt sein Pferd an und beobachtete KeYNamM gespannt, dessen Pferd auf der Hinterhand das Geröllfeld herunterzurutschen begann. In Talgrund stießen ihre Pferde fast zusammen. Im letzten Moment konnte Anir den Zusammenstoß vermeiden, sprang vom Pferd und fing KeYNamM auf, der aus dem Sattel rutschte.

Die beiden Männer umarmten sich und begannen einander zu herzen wie Kinder. „Ich bringe Dir gute Nachricht, Amestan!“ sprudelte es aus Anir heraus, als sie endlich wieder zu Atem gekommen waren. „Eine wirklich gute Nachricht, mein Liebster! Der alte Imperator ist gestorben und der neue, sein junger Sohn, will Frieden mit allen Nachbarn. Er kommt nach Tinghir, um den neuen Gouverneur offiziell in sein Amt einzusetzen und er läd Dich zu der Feier ein, Dich den König vom Unland. Er will das Tributabkommen in einen Freundschaftsvertrag umwandeln! Er will auch mit dem Amenokal Frieden schließen. Dazu braucht er auch Deine Hilfe!"

„Nenn mich Draa, mein Liebster, nenn mich nie mehr KeYNamM, denn ich bin nicht mehr KeYNamM, nicht mehr der Amestan!“ als Anir ungläubig blickte und schon eine Frage auf den Lippen hatte, lachte Draa, „Nenn mich Draa! Schau dort!“ und er deutete auf Aylal, der inzwischen die beiden Reiter des grauen Eselchens, die Brüder Idder und Saden, mit fröhlichem Geschrei begrüßt hatte. Die anderen Kinder umringten die Drei und jeder wollte Aylal umarmen. „Schau Ankläger, dort steht der neue Amestan! Es ist Aylal, Aylal das Vögelchen! Aylal wird immer Aylal bleiben. Er wird den Namen KeYNamM tragen, aber er auch wird den Namen Draa erben.“

Dann lächelte Draa seinen Freund Anir zu, „Was die Völker der Wüste angeht? Der Amenokal liegt im Sterben und den neuen Amenokal kennst Du. Ich weiß, Du liebst ihn wie einen Sohn.“ Als Anir ihn unsicher anblickte, fuhr er fort, „Es ist Ikken, unser Ikken. Er ist der zukünftige Herrscher der Wüstensöhne.“

„So wird Frieden entstehen zwischen dem Imperium, dem Königreich am Draa und der Söhnen der Wüste. Schau, mein Freund Draa!“ Anir deutete dabei auf die Kinder, die sich um Aylal und seine Freunde Idder und Saden versammelt hatten, „Schau auf die Kinder, sie werden dem neuen Amestan folgen, und die Söhne der Wüste werden Ikken, ihrem neuen Amenokal, folgen, wie die des Imperiums dem neuen Imperator folgen werden und es wird ewiger Frieden und ewige Freundschaft herrschen, zwischen dem Unland, dem Reich der Wüstensöhne und dem Imperium!

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Epilog

Ikken und Yufayyur blieben Freunde;

Ikken, Yufayyur und Tanan wurden Freunde;

Draa und Tarit blieben Freunde;

Draa, Tarit und Anir wurden Freunde;

Aylal, Idder und Saden wurde Freunde.

Ihre Freundschaft schloss auch den jungen Imperator mit ein und Yattuy, den neuen Gouverneur und den Stadthauptmann, auch Ennand, den KeYNamMs seit seiner Kindheit kannte und dessen Frau Ayri, die Zwillinge Anirt und Amimt, sogar Hiyya, besonders natürlich Hiyya, die Ikken das lehrte, was ihm weder Yufayyur noch Tanan beibringen konnten.

Zum Freundeskreis zählten auch Amaynu, Ochuko und Idir, die KeYNamM und Ikken aus dem Straflager befreiten, auch Yufayyurs Mutter, die Klanälteste und seine Schwestern Tamimt, Lunja und Dihya

Etwas Besonderes verband die drei Schwestern Tamimt, Lunja und Dihya mit Tarit und KeYNamM. Sie durften die Söhne der Freunde in die Welt setzen, ihre blauäugigen und schwarzäugigen Söhne, ihre hellhaarigen und kraushaarigen Söhne.

Vergessen dürfen wir auch nicht Tirizi, Tanans Mutter und Besitzerin der Herberge „Zum Durstigen Kamel“ sowie die Weisen Frauen. Da war die alte Marktfrau, die Ikken den Hut Gayas geschenkte hatte aber auch Ultasila, die aus der staubigen Ebene und Ultafa, ihre Schwester aus den Bergen. Weise Frauen, die mit ihren trüben Augen klarer sehen konnten als andere mit gesunden Augen.

Es treten noch viel mehr Menschen in diesem Bericht auf, Bürger des Imperiums, des Unlands, der Wüste, böse und gute, junge und alte, reiche und arme. Sie allen müssen miteinander leben. Miteinander leben heißt in Frieden und Freundschaft leben. Aber kann der Frieden zwischen den Menschen die Zeit überdauern, trotz aller Unterschiede? Ja! Frieden und Freundschaft können überleben, aber nur wenn alle dies wollen.

Ende (und Anfang)

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Authors Note:

Feedback, comments, reviews, questions and complaints are welcomed. Please send them to ruwenrouhs@hotmail.de.

And I would like to add, thanks for reading.

My other stories posted in Nifty are in English: Buzzards, Hawks and Ravens (in progress), Chances for Changes, Ran-Dy Va-Mp Visits His Friend, Terry and Sam, A Christmas Story and the first chapters of the story called “Sun Quest”

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